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[personal profile] lucindana
Titel: Bricks In The Wall
Fandom: Harry Potter
Genre: Drama
Rating: ab 16 Jahren
Charaktere: Severus Snape; Lily Evans; Rumtreiber; Evan Rosier; Avery; Lucius Malfoy

Inhalt Die Geschichte des Prinzen. Canon!


Alles beim Alten

~

Entschuldigungen sind immer mit Unwahrheiten gemischt.

(Aus dem Arabischen)

~




Severus Snape beugte sich so tief über den dampfenden Kessel, dass seine Nase fast die Oberfläche der darin brodelnden Flüssigkeit berührte. Deren fahles Dunkelblau verwandelte sich gerade in ein sattes Violett. Genau wie es sein sollte. Zufrieden richtete er sich auf und griff nach der kleinen Kristallphiole, die neben ihm auf dem Tisch schon bereit lag. Vorsichtig füllte er eine Probe des fertigen Trankes ab und verkorkte diese sorgfältig. Noch eine Minute bis zum Ende der Stunde, wie er mit einem Blick auf seine Uhr feststellte. Perfekt.

Aufmerksam beobachtete er sein Umfeld. Von der schieren Verzweiflung, über unterdrückten Triumph, bis hin zu kapitulierender Resignation war jegliche emotionale Regung in der Mimik und der Körperhaltung seiner Mitschüler zu erkennen. Zwischen Slytherins und Gryffindors bestand in diesem Punkt ausnahmsweise keinerlei Unterschied.

Professor Slughorn erhob sich gemächlich aus seinem Sessel hinter dem Pult und begann seinen Rundgang durch die Reihen. Er nahm Severus' Probe entgegen. Ohne einen Blick darauf geworfen zu haben, zwinkerte der Professor ihm anerkennend zu. Der Slytherin hatte Mühe sich zurück zu halten und nicht hier und jetzt einfach sein Ohnegleichen einzufordern. Etwas weniger begeistert setzte der beleibte Lehrer seinen Weg fort. Gegenüber tat James Potter so, welcher die Szene offenbar beobachtet hatte, als müsse er sich in seinen Kessel übergeben. Peter Pettigrews schrilles Lachen hallte an den Wänden wider. Der Trank des kleinen Gryffindors leuchtete in strahlendem Neongelb.

Severus beachtete die beiden nicht, sondern wandte seine Aufmerksamkeit dem rothaarigen Mädchen zu, welches ihn breit angrinste. Sie stand zwei Kessel von den Idioten entfernt und als er fragend die Augenbrauen hochzog, formte sie mit ihrem Daumen und ihrem Zeigefinger einen Kreis. Alles
bestens, sollte das heißen. Severus grinste zurück.

Es war alles wie immer, alles beim Alten. Doch je länger er mit Lily schäkerte, desto deutlicher spürte er, wie das schlechte Gewissen an seinen Eingeweiden zu nagen begann. Schnell wandte er den Blick ab.

"Die Zeit ist um, meine Herrschaften", schallte Professor Slughorns Stimme durch die Kerker. "Einkorken und Abgeben. Pettigrew, Sie nicht, ich fürchte, Ihr Gebräu sieht mir ein wenig ätzend aus", fügte er hinzu. Hinter Severus ertönten mehrere boshafte Lacher. Drüben auf Seiten der Gryffindors funkelten James Potter und Sirius Black ihren Lehrer wütend an. Sie wagten jedoch nicht etwas zu sagen, wie Severus abfällig feststellte.
Die Luft summte von den Stimmen der Schüler, die nun ihre Sachen packten. Kaum hatten alle ihre Proben abgegeben strömten sie zur Tür hinaus. Die nun folgenden Gesprächsfetzen hatten die Wände der Kerker bestimmt schon abertausende Male vernommen und sie würden sie in der Zukunft mindestens genauso oft wieder hören.

"Das war unfair. Er hat uns letzte Stunde überhaupt keinen Hinweis darauf gegeben, dass er uns diesen Trank heute brauen lässt."

"Ich hab mir das ja zum Glück kurz vor der Stunde noch einmal durchgelesen."

"Dabei hätte ich schwören können, dass wir bei Binns heute einen Test schreiben."

"Was gibt es heute zu essen? Hoffentlich etwas Ungesundes, ich muss meinen Frust loswerden."

"Also das Annehmbar kann ich dieses Halbjahr knicken."

"Florfliegen? Wieso Florfliegen? Welche Florfliegen?"

Severus grinste still in sich hinein. Es war eben alles beim Alten. Er ließ sich mit dem Einpacken seiner Sachen Zeit. Als er kurz den Kopf hob, sah er, wie Lily versuchte sich gegen den Strom der anderen Schüler zu ihm durchzukämpfen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, wie sie bald einsehen musste.
Severus signalisierte Lily gerade, dass er auf sie warten würde, als sich plötzlich etwas Scharfkantiges mit großer Wucht in seinen Rücken bohrte. Wütend fuhr er herum, um den Übeltäter zusammenzustauchen, hielt jedoch augenblicklich inne. Vor ihm stand Marmaduke Mulciber, ebenfalls im fünften Jahr in Slytherin. Er lächelte Severus entschuldigend an. Mulciber war ein Stückchen größer als er selbst, ungefähr viermal so breit, hatte schlammbraune Haare und dunkle, kleine Augen.

"'tschuldige, Sev. Hab dich nicht gesehen. Hab ich dich etwa getroffen?", brummte Mulciber mit seinem für sein Alter bereits sehr tiefen Bass und fixierte ihn mit seinem starrenden Blick. Die Frage war blanker Hohn. In der Hand hielt er eine Ledertasche, die bis an den Rand mit Büchern gefüllt war. Sie schwankte durch den Schlag noch immer heftig hin und her.

Severus stiegen Tränen in die Augen. Der Stoß hatte ihn gegen den Tisch geschleudert, dessen Kante sich schmerzhaft in seinen Unterleib bohrte. Allein die Tatsache, dass er immer noch nach Luft schnappte wäre Indiz genug dafür, dass Mulciber ihn sehr wohl getroffen hatte und wohl mehr als nur unabsichtlich. Nichtsdestotrotz biss Severus die Zähne zusammen. "Nein, nichts passiert", presste er heiser hervor und erwiderte das Lächeln, während er sich wieder aufrichtete.

Sein Mitschüler starrte ihn weiter an, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln. "Gut", sagte er schließlich, seltsam gedehnt. Es hörte sich an, als würde er seinen Hund für ein besonders gelungenes Kunststück loben. In seinen Augen lag plötzlich etwas Warnendes und es schien, als flackere sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde zu Lily hinüber. Dann ging er. Severus suchte weiter seine Sachen zusammen.

'Alles beim Alten', dachte er bitter.

Lily war von einigen ihrer Mitschüler in eine Unterhaltung verwickelt worden, so dass sie den Vorfall nicht mitbekommen hatte. Nachdem sie endlich zu Severus hinüber gegangen war, eröffnete sie dementsprechend unbefangen das Gespräch: "Bleibt es bei heute Abend? Ich habe bereits mit
Professor Slughorn alles abgesprochen, wir dürfen die Kerker benutzen. Stell dir vor, er gibt uns sogar die Schlüssel für die Kammer, in der seine privaten Vorräte stehen. Severus?" Lily stand nun direkt vor seinem Tisch.

Severus sah kaum auf. "Schön", erwiderte er nur kurz angebunden und tauchte für einen Moment vollends unter dem Tisch ab, da ein paar Sachen auf den Boden geschleudert worden waren. Nach kurzer Prüfung der verstreuten Kräuterblätter, Pulverhäufchen und zerbrochenen Phiolen entschied er, dass diese nicht mehr zu verwenden waren. Sollten sich die Hauselfen um diese Sauerei kümmern. Er stand wieder auf und wollte sich gerade auf den Weg zu den Vorratsschränken machen, als er Lily bemerkte. Die Hexe stand noch immer direkt vor ihm und musterte ihn argwöhnisch.

Möglichst beiläufig sagte er: "Hör zu, Lily." Er holte innerlich tief Luft und wappnete sich für das unvermeidliche Donnerwetter. "Ich kann heute Abend leider nicht."

Entgegen seinen Befürchtungen blieb der Zornesausbruch vorläufig aus. Seine Freundin Lily schien so etwas erwartet zu haben. Offenbar jedoch hatte sie die leise Hoffnung gehegt, Unrecht zu haben. Severus konnte deutlich die Enttäuschung in ihrer Stimme hören. Das traf ihn noch mehr, als wenn sie ihn angeschrien hätte. "Das ist doch jetzt nicht dein Ernst?", fragte sie nur leise, als wolle sie ihm eine Gelegenheit geben, das Gesagte zurückzunehmen. Sie gab ihm noch eine letzte Chance.

Er nahm sie nicht wahr. "Tut mir leid", war alles, was er ihr entgegen brachte. Mehr konnte er nicht sagen. Es spielte dabei auch überhaupt keine Rolle, dass er es wirklich so meinte.

"Tut mir leid? Es tut dir leid?", wiederholte Lily jetzt ungläubig. "Severus, diesen Termin hatten wir doch schon vor Wochen abgemacht. Ich hab in der Winkelgasse extra die neuen Bücher besorgt und mir für die anderen eine Genehmigung für die Verbotene Abteilung geben lassen. Hast du eine Ahnung, wie lange ich Slughorn und McGonagall bearbeiten musste, damit sie uns diesen Trank hier brauen lassen? Wie lange ich gebraucht habe, bis ich diesem zwielichtigen Kerl in der Nocturngasse die Zutaten abgeschwatzt hatte? In der Nocturngasse, ich wäre dort fast gestorben vor Angst." Lily hatte die Hände in die Seite gestemmt.

"Wir hatten ja auch abgemacht, dass wir dort zusammen hingehen", entgegnete er vorwurfsvoll und entschuldigend zugleich. Die Vorstellung, dass Lily allein in dieser Gegend gewesen war, in der es von schwarzen Zauberern und Muggelhassern nur so wimmelte, bereitete ihm jetzt noch Magenschmerzen. Auch weil es zum großen Teil seine Schuld war, da er diese Verabredung ebenfalls hatte absagen müssen. Severus hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass Lily ihre damals ausgesprochene Drohung tatsächlich wahr machen und wirklich allein in die Nocturngasse gehen würde.

Ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr ihr dieser Trank am Herzen lag, weit mehr als ihm. Das nagende Gefühl in seinen Eingeweiden wurde stärker. Fast drehte er sich zu ihr herum. Fast sagte er ihr, dass es heute Abend doch klappen würde, dass er sie dieses Mal nicht im Stich lassen würde. Sagte ihr, dass ihm ihre gemeinsame Zeit auch wichtig war und dass er sein Versprechen ihr gegenüber natürlich halten würde.

Vor die Gefühle der Schuld und des Bedauerns baute der Trotz eine schützende Mauer. Sie hatte ja keine Ahnung, was für ihn an diesem Abend auf dem Spiel stand. Außerdem hatten sie schließlich noch das ganze verdammte Jahr Zeit, an diesem Trank herumzuexperimentieren, der ohnehin in die Hose gehen würde. Und sie hätte ja auch nicht allein in die Nocturngasse gehen müssen.

"Außerdem liebt Slughorn dich und McGonagall auch, also übertreib nicht", sagte Severus deshalb bestimmt und ging an ihr vorbei hinüber zu den Vorratsschränken. "Wir verschieben es eben auf nächste Woche", fügte er nach kurzem Zögern hinzu.

"Wir können es nicht verschieben, sonst stimmt unsere Planung nicht mehr. Wenn wir jetzt nicht anfangen, müssen wir bis nächstes Jahr warten. Es ist bald Weihnachten, schon vergessen? Oder willst du in unserem Wohnzimmer anfangen zu brauen, oder in eurem, vor deinem Dad? Abgesehen davon wäre der Zyklus des Mondes momentan einfach perfekt, das weißt du doch. Dann macht es auch nichts, wenn wir alles über die Ferien ruhen lassen. Wenn wir jetzt anfangen. Severus, sag das du heute Abend hier bist! Sag es, oder ich werde …", sie brach ab. Lily wusste, dass Vorwürfe, Drohungen und Wutausbrüche bei Severus noch nie etwas bewirkt hatten. Je mehr man ihn bedrängte, desto mehr schaltete er auf stur.

"Was ist in letzter Zeit eigentlich los mit dir?", fügte sie daher wieder leiser hinzu. Er konnte hören, dass sie ihre eigene Tasche vor sich auf den Boden gleiten ließ.

"Was soll sein? Ich habe heute Abend eben keine Zeit. Mir ist einfach etwas anderes dazwischen gekommen, okay? Verdammt, Lily, nun mach doch kein Drama daraus", seufzte Severus, während er scheinbar wahllos Zutaten aus den Schränken klaubte. So gelassen er tat, so sehr zitterten dabei seine Hände. Zweimal glitten ihm die kleinen Phiolen aus der Hand. Zum Glück hatte er seine Tasche offen zwischen seine Füße gestellt, sodass sie weich landeten.

Lily antwortete ihm nicht. Sie wartete. Minutenlang sprach keiner von beiden ein Wort. Severus hatte eigentlich schon alles, was er brauchte, aus den Schränken geholt. Trotzdem drehte er sich nicht zu ihr um, sondern schob sinnlos Sachen hin und her, räumte Dinge aus und um oder schichtete sie neu aufeinander.

Am Ende war es doch Lily, die das Schweigen brach. "Hat es was mit mir zu tun?" Die unvermeidliche Frage. Severus stöhnte genervt auf. Er schloss die Türen des Schrankes nun doch, lehnte sich für eine Handvoll Herzschläge dagegen, um sich zu sammeln und kam dann langsam zu Lily zurück.
"Nein! Wie kommst du nur darauf, dass sich alles immer … Nein, es hat nichts mit dir zu tun. Überhaupt nichts. Ich kann heute nicht. Ende, aus, basta. Kann ich jetzt mal an den Kessel?" Dieser war umgekippt, doch zum Glück war keine Beule oder Ähnliches zu entdecken. Wenigstens etwas war also gut gegangen.

"Warum kannst du heute Abend nicht?" Sie fragte sehr ruhig, sehr schlicht, ohne erkennbare Intention oder Emotion dahinter.
Severus zögerte. Eigentlich gab es keinen Grund, ihr nicht die Wahrheit zu sagen. Aber er war sich ziemlich sicher, dass seine Freundin die Antwort nicht gut aufnehmen würde. "Evan Rosier hat heute Geburtstag und er hat mich eingeladen, heute Abend mit ihm und ein paar anderen zu feiern", sagte er langsam.

"Moment!" Lily schnappte hörbar nach Luft. "Rosier? Sagtest du gerade Evan Rosier?"

"Ja."

"Sev, du hasst Evan Rosier. Die letzten vier Jahre hast du dich nur bei mir über ihn beschwert. Darüber, dass er dich wegen deinem Vater hänselt, dass er deine Sachen durchwühlt, sich Dinge ausleiht und sie nicht zurück gibt… "

Lily hatte Recht. Wenn James Potter, der eingebildetste, arroganteste, narzisstischste und beliebteste Held der Schule war, dann konnte man Evan Rosier mit gutem Gewissen als seinen bösen Zwilling bezeichnen. Zwischen ihnen bestand nur der kleine Unterschied, dass Evan nicht in Gryffindor sondern in Slytherin war. Außerdem konnte Rosier, im Gegensatz zu Potter, den einfach alles und jeder zu bewundern schien, kaum einer leiden. Trotz allem war Evan Rosier für Severus eine der wenigen Personen, die innerhalb seines eigenen Hauses annähernd den Status eines Freundes einnahmen.

Es war ein verdammt harter Kampf gewesen in den vergangenen Jahren, um dies zu erreichen. Severus hatte viele Lektionen lernen müssen, um an diesen Punkt zu kommen. Doch die eigentliche Qual waren nicht die Hänseleien, die Beleidigungen oder gar die tätlichen Übergriffe. Es war die Ignoranz seiner Mitschüler, die Severus schmerzte, die ihn fast in den Wahnsinn trieb. Es war das Wissen, dass er besser war als das, was die anderen in ihm sahen oder zu sehen glaubten. Es war der unglaublich starke Drang, sich zu beweisen, der Severus hatte durchhalten lassen.

Er wollte beweisen, dass er mehr war, als nur 'das Halbblut', oder gar 'dieser Snape'. Er war mehr, viel mehr als der Bastard eine abtrünnigen Hexe, mehr als ein verkorkster Bücherwurm mit einem Faible für die Dunklen Künste. Er war mehr, konnte mehr, wollte mehr sein.

Mit Rosiers Einladung an diesem Abend schien endlich das Ende seines Kampfes in Sicht. Es war für ihn wie ein Zeichen, dass die anderen endlich begannen, ihn zu akzeptieren. So viel ihm Lily auch bedeutete, er würde diese Anerkennung um keinen Preis der Welt opfern. Dafür hatte er schon im Vorfeld viel zu viel dafür bezahlt.

"Das ist halb so schlimm", warf Severus ein, doch Lily war nicht mehr zu bremsen.

"Nicht schlimm?", sagte sie ungläubig. "Das nennt man Mobbing, Severus. Du hättest schon längst zu Slughorn gehen sollen."

Fast hätte er gelacht. Mobbing war sicher nicht mehr der passende Ausdruck für das, was Evan Rosier in Slytherin so tat. Dass seine Sachen versteckt, geklaut oder zerstört wurden, war im Vergleich zu anderen Dingen auch eine Lappalie.

Doch er ließ sich nichts anmerken und sagte nur: "Das bringt auch nichts."

"Hast du es schon versucht?"

"Ja", sagte er knapp. Das war gelogen. Wie alle anderen auch, würde Severus es nie wagen die Regeln zu brechen. Was zwischen ihnen passierte, ging niemanden etwas an, nicht einmal den Hauslehrer.

"Was hat er gesagt?"

"Ich soll mir mehr Mühe geben", antwortete Severus ausweichend. "Es ist wirklich nicht schlimm. Es ist viel besser geworden, jetzt wo wir älter sind."
Das stimmte sogar. Teilweise. "Und Mulciber und Avery sind ja auch ganz in Ordnung. Auf die beiden hört er", setzte Severus noch hinzu. Es machte die Sache nicht gerade besser.

"Ach ja, das sind ja jetzt deine neuen Freunde." Lily spuckte das Wort Freunde mehr aus, als das sie es sagte. Er spielte ernsthaft mit dem Gedanken, sie einfach zu ignorieren. Doch er wusste auch, dass sich seine Freundin damit nicht zufrieden geben würde.

"Fang nicht wieder damit an", knurrte er schließlich, in der wagen Hoffnung sie damit von diesem Thema abzubringen. Ohne Erfolg. Gleichzeitig ärgerte er sich darüber, es überhaupt zur Sprache gebracht zu haben.

"Ich fange immer wieder damit an. So lange bis du endlich die Augen aufmachst."

"Ja, schon seltsam, dass so was wie ich nach gut und gerne fünf Jahre an dieser Schule endlich Freunde findet", schnappte er.

Lily schnaubte. "Ach, halt die Klappe!", fauchte sie zurück. "Severus, natürlich freue ich mich für dich. Es ist gut Freunde zu haben, jeder Mensch braucht Freunde. Aber richtige Freunde, Sev, Freunde und nicht diese arroganten, überheblichen …" Sie brach ab.

Severus funkelte sie an. "Was? Sind sie dir etwa nicht gut genug? Entschuldigung, aber das Angebot an Leuten, die sich freiwillig mit mir abgeben ist nicht besonders reichhaltig."

"Ich gebe mich mit dir ab, falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte. Freiwillig und schon seit erstaunlich langer Zeit", gab Lily deutlich gekränkt zurück.

"Natürlich. Tut mir schrecklich leid, dass man dir dafür noch keinen Orden verliehen hat. Weißt du was, heute Nacht schleiche ich mich runter ins Pokalzimmer und klaue dir einen. Es steht dann zwar ein anderer Name drauf, aber wie heißt es doch so schön: Es ist die Geste, die am Ende zählt", erwiderte Severus trocken. Sekunden später bereute er seine Worte bitter.

Ohne ein weiteres Wort drehte Lily sich auf dem Absatz herum und stürmte aus dem Raum. Severus blieb nichts anderes übrig, als seine Sachen zusammen zu raffen und ihr hinterher zu laufen.

"Lily? Nun warte doch mal. Lily? Lily!"

Sie drehte sich nicht noch einmal um. Schon nach kurzer Zeit war ihre rote Haarmähne in dem Strom aus hungrigen Schülern verschwunden. Dieser ergoss sich bald in die Eingangshalle und riss Severus erbarmungslos mit sich in Richtung Mittagessen.

Alles beim Alten?

0~~~~~~~0


Lily ließ sich das ganze Mittagessen über nicht blicken und auch den Rest des Schultages suchte Severus vergeblich nach dem ihm so vertrauten roten Haarschopf in der Menge der Schüler. Statt der Person zu begegnen, die er unbedingt sehen wollte, lief er ausgerechnet den Leuten über den Weg, denen er absolut nicht begegnen wollte: James Potter und seinen Speichelleckern.

Alles wie immer, also.

"Schniefelus! Warte, Schniefelus! Du hast doch nicht etwa geglaubt, Schniefelus, dass du mir heute davon kommst, oder, Schniefelus?", hörte er James Potter hinter sich brüllen. Die vertraute Angst regte sich in seinen Eingeweiden. Obwohl Severus sich mittlerweile fast an die Sticheleien der Gryffindors gewöhnt haben sollte, konnte er das Gefühl der Panik noch immer nicht vollständig unterdrücken.

Er fragte sich im Stillen, wie oft man einen Namen in einem Satz unterbringen konnte, bevor er sich umdrehte. "Ehrlich gesagt, hatte ich genau das gehofft, stimmt", erwiderte er so genervt wie möglich und wollte schnell weiter, doch James Potter versperrte ihm zusammen mit seinem siamesischen Zwilling Sirius den Weg. Sie kesselten ihn ein. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er hasste nichts mehr, als in die Ecke gedrängt zu werden. Keine Panik, befahl er sich selbst, es war alles wie immer, er würde es auch dieses Mal überstehen.

"Nicht so eilig, Schniefelus", säuselte Black.

"Was?" Severus' Erwiderung klang scharf, doch die beiden anderen Schüler kamen ihm immer näher. Zu nahe für seinen Geschmack. Er bezwang den Drang rückwärts zu gehen. Erstens wollte er sich nicht die Blöße geben, ihnen seine Angst zu zeigen. Zweitens: Hinter ihm kam nur noch die Wand. Gelang es den beiden Gryffindors ihn dort hin zu drängen, gab es keinen Ausweg mehr.

"Wir beide haben noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen." Potter.

Severus überspielte seine Angst wie üblich, indem er redete. "Ich wüsste nicht, was wir beide zu besprechen hätten, Potter. Ehrlich gesagt habe ich andere Sachen zu tun, als hier in diesem Gang mit euch zwei Idioten einen Plausch zu halten."

"Ich gebe dir gleich einen Idioten." Black.

Diese Gryffindors waren wirklich noch immer verdammt leicht zu reizen. Seine Chance. Bevor er zu einer Antwort ansetzte, spannte Severus alle Muskeln an. "Verzeihung, drei. Du zählst natürlich doppelt, Black."

Während Black sich auf ihn stürzen wollte, rettete Severus ein gewagter Hechtsprung zur Seite und die Tatsache, dass Potter seinen besten Freund am Schlafittchen gepackt hatte und zurück hielt.

"Langsam, langsam, Sirius. Heute gehört Schniefelus mir", beschwichtigte der Quidditschstar seinen Freund. Sofort wandte er sich wieder an den Slytherin. "Rate, wen ich vorhin nach dem Zaubertrankunterricht getroffen habe."

"Dein Gehirn?" Severus schätzte die Entfernung zur nächsten Tür ab. Bis zum Ende des Ganges würde er es nie schaffen.

"Lily Evans."

"Wie schön für dich." Zu weit. Den Weg ins nächstgelegene Klassenzimmer versperrten die Idioten. Keine gute Ausgangsposition. Er musste es wohl oder übel durchstehen. Wie immer.

Smalltalk also. Austeilen was das Zeug hielt und auf das Beste hoffen. Diese Wortgefechte waren noch harmlos, doch sie zehrten an seinen Nerven. Severus kämpfte innerlich gegen seine Urinstinkte. Ihm blieben Angriff oder Flucht. Mit harmloser "fünfte Klasse"- Magie hatte er gegen Musterschüler wie Potter und Black keine Chance. Doch andere Optionen konnte und wollte er nicht nutzen, schließlich hatte er Lily ein Versprechen gegeben. Also langsamer Rückzug. Mit jedem Schritt, den die beiden Gryffindorschüler näher kamen, machte Severus zwei zurück. Er konnte einfach nicht anders. Es gelang ihm zumindest, die immer noch aufkeimende Angst so weit zu unterdrücken, dass man sie ihm körperlich nicht ansah.

"Sie war traurig, Schniefelus. Irgend etwas hat meine Lily traurig gemacht", sagte Potter und zum ersten Mal seit längerer Zeit sah der Slytherin in den Augen seines Erzfeindes echte Wut aufblitzen. Das brachte Severus aus seinem Konzept. Seine Hände ballten sich kurz zu Fäusten, entspannten sich aber wieder.

Er hatte schon seit längerem festgestellt, dass James Potter ein Auge auf Lily geworfen hatten. Das war etwas, dass Severus ganz und gar nicht gefiel. Severus wusste, dass er keine Angst davor haben sollte Lily zu verlieren. Sie hatten oft genug in den Sommerferien über besagten Gryffindor hergezogen und Lily hatte nie durchblicken lassen, dass sie sich für ihren Hausgenossen interessierte. Im Gegenteil, sie verabscheute diesen Angeber und seine Gefolgschaft fast noch mehr als Severus selbst. Trotzdem vermied er es, das Thema Potter in Lilys Gegenwart anzuschneiden, je aufdringlicher James Potter ihr gegenüber wurde.

Denn die Zweifel waren da. Und die Angst. Severus hatte wahnsinnige Angst davor, dass der Charme von James Potter irgendwann auch bei Lily anschlagen würde. Angst davor, dass er irgendwann gegen Potter um Lily kämpfen musste. Angst davor, aus diesem Kampf als Verlierer hervorzugehen. Denn was hatte er schon, dass er einem James Potter entgegensetzen konnte?

Doch er hielt sich zurück. Es wäre töricht, dachte er, wenn er seinem eigenen Zorn nun freien Lauf lassen würde.

In Wahrheit, obwohl Severus es sich selbst nie eingestehen würde, wollte er auf gar keinen Fall, dass jemand erfuhr, wie viel er für seine beste Freundin wirklich empfand. Schon gar nicht Potter. Denn dann würde dieser garantiert damit beginnen, ihn damit aufzuziehen. Das konnte dann niemand überhören, auch Lily nicht.

Severus fürchtete sich seit Jahren davor, mit Lily ein Gespräch über ihre Beziehung zu führen. Er wusste nicht, wie er es ertragen sollte, wenn sie ihm halb entschuldigend, halb mitleidig sagte, dass er nur ein Freund für sie war. Wenn er ihr dabei auch noch ansehen musste, wie sie sich fragte, wie bei Merlin er überhaupt auf die dummer Idee kommen konnte, sie zu … Oder das gar sie ihn … So schluckte er seinen Zorn hinunter, unterdrückte die aufwallende Eifersucht, wie er auch seine immer stärker werdenden Gefühle für Lily so gut es ging in sich verschlossen hielt.

"Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals irgendwo an Lily etwas gesehen zu haben, das sie als dein Eigentum kennzeichnet", entgegnete er daher kühl, konnte aber nicht verhindern, dass er leicht zu zittern begann.

Potter bemerkte es, interpretierte es als Angst und versuchte es mit weiterer Provokation. "Lass es mich deutlicher ausdrücken: Nicht irgend etwas, sondern irgend jemand hat meine Lily traurig gemacht. Und nun rate mal, mit wem Lily zuletzt gesprochen hat?"

Severus stand nun doch mit dem Rücken zur Wand. Er konzentrierte sich auf die kalten Steine, die sich in seinen Rücken brannten und zwang sich Potters weitere Meldungen seiner Besitzansprüche zu überhören. "Keine Ahnung, Potter. Aber sag mal, hast du jetzt neuerdings einen Vertrag bei dieser Quizsendung im magischen Rundfunk abgeschlossen? Die, bei der sie Leute auf der Straße befragen und es Schlüssel für ein Gringottsverlies zu gewinnen gibt? Wenn ja, solltest du diese Chance unbedingt nutzen. Du machst dich echt gut. Außerdem bliebe mir dann deine hässliche Visage tagtäglich erspart. Ein Radio kann man zum Glück ausschalten." Severus wusste, dass er sich gerade um Kopf und Kragen redete. Doch außer seinem Sarkasmus standen ihm in diesen Kämpfen nur wenige Waffen zur Wahl. Außer denen, die einzusetzen er nicht wagte.

"Treib es nicht zu weit, Schniefelus. Ich mag es nicht, wie du kleines Stück Scheiße Lily ansiehst." James Potter musterte ihn nun mit unverhohlener Abscheu.

"James, das reicht." Remus Lupin. Grau, müde und abgehetzt wie immer, das Abzeichen des Vetrauensschülers schief auf der der Brust, kam mit großen Schritten auf die kleine Gruppe zu.

Wie durch ein Wunder schien Lupins Ankunft dieses Mal bei Potter tatsächlich etwas zu bewirken. Er trat einen Schritt zurück: "So langsam gehst du mir ernsthaft auf die Nerven. Pass also gut auf, was du tust, Schmalzlocke. Sonst bekommst du ernsthafte Probleme mit mir."

"Haben wir nicht alle unsere kleinen Probleme?", gab Snape zurück. Dabei streifte er mit seinem Blick kurz Lupin, um Potter abzulenken. Der Erfolg war überwältigend. Der sonst so ruhige Remus Lupin bekam es ganz offensichtlich mit der Angst zu tun. Er packte seine beiden Freunde ziemlich unsanft am Umhang und versuchte sie von Severus wegzuziehen.

"James!" Lupins Stimme klang nun gar nicht mehr ruhig und vernünftig, es schwang sogar eine leichte Panik darin mit, als Black und Potter überhaupt nicht auf ihn reagierten. "James! Sirius! Lasst uns gehen!"

Severus wusste, dass er einen wunden Nerv getroffen hatte. Mit dem Mut derjenigen, die den Überraschungsvorteil auf ihrer Seite haben, holte er zum Gegenschlag aus. "Anstatt dir so viele Gedanken über Lily zu machen, solltest du lieber mal darüber nachdenken, was dein perfekter Vertrauensschülerfreund hier eigentlich jeden Monat so treibt. Das ist überhaupt der Witz des Jahrhunderts. Ein Vertrauensschüler, der einmal im Monat auf mysteriöse Weise verschwindet. Na, wenn das nicht vertrauenserweckend ist."

"Hör zu, du ...", fauchte Black, doch Lupin würgte ihn ab.

"Sirius, lass es gut sein, bitte." Der Vertrauensschüler flehte nun regelrecht um die Aufmerksamkeit seiner Freunde. Mit Erfolg. Zögerlich und unter weiteren Beschimpfungen zogen sie ab. Severus hörte nicht auf das, was sie ihm noch alles an den Kopf warfen. Ihre Beleidigungen taten ihm schon lange nicht mehr weh. Es gab Schlimmeres. Einen Moment lang drohten seine Beine unter ihm nachzugeben, so sehr hatte er unter Spannung gestanden. Zurück blieb Erleichterung .

"Hey, Severus. Wo bleibst du denn?" Rosier. Severus' Magen krampfte sich erneut zusammen. Heftiger denn je.

Severus hatte mal wieder sein Talent bewiesen, vom Regen direkt in die Traufe zu stolpern.

Alles beim Alten.



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